erheiterung

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    Das neue gibt es unter https://discourse.bohramt.de!
      Erst lesen, dann raten, wann es geschrieben wurde!



      Wenn die Börsenkurse fallen,
      regt sich Kummer fast bei allen,
      aber manche blühen auf:
      Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

      Keck verhökern diese Knaben
      Dinge, die sie gar nicht haben,
      treten selbst den Absturz los,
      den sie brauchen - echt famos!

      Leichter noch bei solchen Taten
      tun sie sich mit Derivaten:
      Wenn Papier den Wert frisiert,
      wird die Wirkung potenziert.

      Wenn in Folge Banken krachen,
      haben Sparer nichts zu lachen,
      und die Hypothek aufs Haus
      heißt, Bewohner müssen raus.

      Triffts hingegen große Banken,
      kommt die ganze Welt ins Wanken -
      auch die Spekulantenbrut
      zittert jetzt um Hab und Gut!

      Soll man das System gefährden?
      Da muss eingeschritten werden:
      Der Gewinn, der bleibt privat,
      die Verluste kauft der Staat.

      Dazu braucht der Staat Kredite,
      und das bringt erneut Profite,
      hat man doch in jenem Land
      die Regierung in der Hand.

      Für die Zechen dieser Frechen
      hat der Kleine Mann zu blechen
      und - das ist das Feine ja -
      nicht nur in Amerika!

      Und wenn Kurse wieder steigen,
      fängt von vorne an der Reigen -
      ist halt Umverteilung pur,
      stets in eine Richtung nur.

      Aber sollten sich die Massen
      das mal nimmer bieten lassen,
      ist der Ausweg längst bedacht:
      Dann wird bisschen Krieg gemacht.









      (Kurt Tucholsky, 1930, veröffentlicht in "Die Weltbühne")


      Nix gelernt!

      ...und tschüss!
      EDV - Einer Der Verdächtigen

      RE: erheiterung

      igraltist schrieb:



      Nix gelernt!


      Wie wahr. :lache:

      Manche Dichter waren echte Hellseher. Habe hier am 15.März 2003 ein Gedicht von Erich Kästner (auch aus 1930) gepostet, das wie für die damalige Situation geschrieben schien - sogar mit Datumsangabe (nur ganz leicht verfehlt).
      5 Tage später brach der Irak-Krieg aus.

      "Das letzte Kapitel"

      Das letzte Kapitel

      (Erich Kästner, geschrieben 1930)

      Am 12. Juli des Jahres 2003
      lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
      daß ein Bombengeschwader der Luftpolizei
      die gesamte Menschheit ausrotten werde.

      Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
      daß der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
      sich gar nicht anders verwirklichen läßt,
      als alle Beteiligten zu vergiften.

      Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck.
      Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.
      Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck.
      Man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.

      Am 13. Juli flogen von Boston eintausend
      mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort
      und vollbrachten, rund um den Globus sausend,
      den von der Weltregierung befohlenen Mord.

      Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
      Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.
      Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
      Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.



      Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen.
      Keiner entging dem Tod, und die Welt wurde leer.
      Das Gift war überall. Es schlich wie auf Zehen.
      Es lief die Wüsten entlang. Und es schwamm übers Meer.

      Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.
      Andre hingen wie Puppen zum Fenster heraus.
      Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.
      Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.

      Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.
      Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.
      Die Flugzeuge irrten, mit tausend toten Piloten,
      unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.

      Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.
      Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.
      Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte,
      völlig beruhigt, ihre bekannte elliptische Bahn.


      aus: Kästner für Erwachsene, S. Fischer Verlag

      igraltist schrieb:

      egal trotzdem ein lob an den author :)

      anmerkung:


      Doch der Text stammt aus anderer Feder. Tucholsky konnte 1930 noch gar nicht wissen, was Derivate überhaupt sind.


      de.wikipedia.org/wiki/Derivat
      soll das 1930 nicht bekannt gewesen sein?
      :D

      Wenn ich das lese, klingt das eher nach den 80ern ;)

      this world can turn me down, but I won't turn away
      and I won't duck and run, 'cause I'm not build that way